Lyrik

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Auf dieser Seite stelle ich euch Texte von mir vor: Gedanken und Ideen, die ich gern zu einem Lied verarbeiten würde oder von Liedern, die noch nicht veröffentlicht sind, die ich aber bei Konzerten sehr gerne singe.


  • Alles ist eitel

    In diesen Tagen habe ich mich an den Deutschunterricht in der Oberstufe vor vielen Jahren erinnert. Es ging um die Entwicklung der Deutschen Sprache aus der Frühzeit über das Mittelalter, die Renaissance usw.
    Das folgende Gedicht aus dem frühen Barock, genauer gesagt von 1637 – für euch in heutiges Deutsch übertragen – habe ich nie vergessen.
    Es gibt einfach zu viele Kriege.

    Foto privat: Flüchtlingszelte in Beirut

    Ein Sonett von Andreas Gryphius 1616 – 1664

    Er schrieb dieses Gedicht 1637, mitten während des Dreißigjährigen Krieges.
    Es könnte auch von heute sein.

    Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
    Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
    Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,
    auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.


    Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
    Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein.
    Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
    Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

    Foto privat
    1960 in Beirut: Flüchtlinge suchen nach einem Regenschauer nach frischen, grünen, essbaren Pflanzen hinter unserem Haus.

    Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.
    Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
    Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
    als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
    als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.
    Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

    Alle Fotos sind von meiner Mutter Roswitha gemacht, die 1959/1960 im Libanon berufstätig war und mich als Kind mitgenommen hatte, auch auf ausgedehnte Fahrten durch verschiedene Länder des nahen Ostens, um die Heiligen Stätten zu besuchen. Die Bilder und beklemmenden Eindrücke dieser Fotos sind mir noch sehr präsent.
    Ich war 6 Jahre alt.

    Foto privat: Jerusalem, via Dolorosa 1960

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  • Hymne an das Mittelmaß

    Ich habe diese “Hymne” geschrieben als Antwort auf die heutige “Mode”, den Perfektionismus. Im TV, bei Festen, bei den Kochshows … bei der Kunst. Alles was nicht perfekt scheint wird künstlich “verbessert”. Mir dagegen gefallen die Dinge so wie sie sind.

    HYMNE AN DAS MITTELMAß
    von Gery De Stefano

    Wer hat je eine Hymne über das Mittelmaß gesungen?
    Wer hat je seine Vorzüge gepriesen?
    Wer hat sich je mit ihm gebrüstet?

    Alles muss “super” sein oder “krass” oder “mega”.
    Wer bekennt sich dazu das Laue zu mögen?
    Nicht das Backofenheiße, nicht das Icegecoolte?

    Weißt du nicht, dass im Lauwarmen das beste Lebensmillieu herrscht,
    mit allen Vorteilen und Risiken?
    Es ist bekömmlich, aber auch rasch verderblich.
    Es ist einfach nicht steril.
    Warum nur fühlen sich viele Lebewesen darin so wohl?

    Ah, das Mittelmaß!
    All dies Unfertige, all dies Halbe!
    Wie viel Kreativität lässt sie erahnen!
    Deine Phantasie wird beflügelt, weil sie sich ausmalen kann,
    wie es sein wird wenn…
    Sie hat niemals Langeweile.
    Sie freut sich auf die Stunde, wenn … die Zeit dafür reif ist,
    wenn … etwas gewachsen ist,
    selbst wenn sich inzwischen das Angefangene überlebt hat.

    Picasso: Entwurf zu “Demoiselles d’Avignon

    Und diese vollkommenen Vorgänge!
    Wie öde sie sind!
    Diese Perfektion!
    Alles an seinem Platz.
    In der Schublade. In der Akte.
    Fertig zum Verstauben.
    Das Angefangene dagegen, das Halbe, nimmst du in die Hand,
    eine automatische Entstaubung
    du nimmst es wahr, siehst es, berührst es, schiebst es hin und her.
    Kannst du dir das mit dem Perfekten vorstellen, mit dem Sterilen?
    Das steht eher in der Bibliothek oder im Museum oder in der Tiefkühltruhe,
    aber was hat das noch mit dir zu tun?

    Perfektion ist der Tod.
    Das Ende der Kreativität,
    in Kunstharz gegossen, in Vinyl gebrannt,
    hinter Stahlwände geschlossen inklusive Versicherungspolice.

    Das Mittelmaß kannst du nicht einsperren.
    Es lohnt sich nicht, denn es ist nur mittelmäßig!
    Es ist nur für dich da und hält dich lebendig.

    Klar, es kostet Kraft,
    vielleicht zu viel für dich.
    Mittelmäßig sein bedeutet: immer unterwegs sein, weil nichts fertig ist.

    Das Lebendige ist nicht perfekt.
    Es ist schief und krumm und unordentlich,
    es ist halb und unstet und sprunghaft.
    Mal so, mal so.
    Es ist unvollendet, das Gegenteil von tot!
    Kein Prinzip für alle Ewigkeit.
    Eine ständige Evolution.

    Das Lebendige kennt keine geraden Kanten und keine Mülltrennung.
    Das Lebendige folgt einem inneren Gesetz, das nicht symmetrisch ist.

    Ich komme mit den Extremen nicht mehr zurecht:
    entweder – oder
    ganz oder gar nicht!
    Warum nicht ein bisschen?
    Warum nicht halbe-halbe?
    Warum nicht sowohl-als-auch?
    Warum nicht mittelmäßig?
    Ich bin so.

    Ja, ich bin auch müde, weil ich mittelmäßig bin.
    Und ich muss alles doppelt machen, weil ich so vergesslich bin.
    Und ich muss so viel suchen, weil überall Angefangenes liegt.
    Und ich blamiere mich! Frag nicht wie!
    Und ich heule deswegen auch schon mal vor Verzweiflung so vor mich hin.

    Aber ich bin so,
    inzwischen stehe ich drauf.
    Ab jetzt möchte ich mich auch dazu bekennen.

    Gery, 2003/2023

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  • Puzzle

    Wie aus einem Tagebucheintrag ein Lied wurde:

    Tagebuch 2015

    “Ich spiele permanent ein Puzzle, das nicht aufgeht.
    Immerzu fehlt etwas, irgendein Teil aus dem Rand, das mir ein Gefühl für die Ausmaße des Ganzen geben sollte, das mir signalisieren könnte: alle anderen Teile gehören IN den Rahmen.
    Dann würde ich auch nicht so schnell den Mut verlieren, wenn alles so konfus wirkt, oder verunsichert werden, ob auch DIESES Teil dazugehört,
    oder merken, wenn ich in der ganz falschen Richtung anzulegen versuche.

    Ich spüre in mir eine Kreativität, die völlig verpufft, weil ich immer konfuser werde. Ich weiß nicht mehr wohin. Und woher?
    Und selbst wenn ich es ansatzweise verstehe, dann möchte ich doch nur schlafen …

    Wie lange geht das noch gut? Ich versuche immer, meine Puzzlesteine zu zählen und zu sortieren und komme an kein Ende… ”

    Während des Corona-Lockdowns 2020 begann ich zum Zeitvertreib auch große Puzzles zu legen und dabei viel über mein Leben nachzudenken. Ich erinnerte mich irgendwann an meinen “Puzzle-Eintrag”. Daraus entstand dann das folgende Lied.
    “Puzzle” ist im Irish Folk reel-Stil, schnell und rhythmisch, und muntert mich beim Singen nicht nur durch den Text auf. Noch habe ich es nicht im Studio aufgenommen, aber ich habe einen live-Mitschnitt vom Konzert in Köln-Ehrenfeld vom 10.09.2023.

    Text und Musik Gery De Stefano
    live-Aufnahme 10. 08. 2023 bei einem Konzert in Köln Ehrenfeld

    PUZZLE 

    Mein Leben ist ein Puzzlespiel,
    hat viele 100 Steine.
    So manche Freunde helfen mir,
    doch puzzlen muss ich alleine.

    Ich seh‘ vor mir die große Zahl
    der wild geformten Stücke
    Und frag’ mich ein ums andre Mal:
    was passt wohl in diese Lücke?

    Ach hätt‘ ich doch wenigsten schon den Rand
    geschlossen mit 4 Ecken,
    wüsst ich die Richtung: hier geht’s lang,
    ich könnte das Ausmaß checken!

    Dann wüsste ich wie groß, wie breit,
    wo unten ist und oben.
    Der Rahmen gäb mir Sicherheit,
    ich fühlte mich nicht so verloren.

    Ich nehm in die Hand jetzt Stück für Stück,
    muss anschaun und sortieren,
    muss drehen, wechseln auf gut Glück
    und immer neu probieren.

    Und fehlte auch nur das kleinste Teil,
    das graue, unscheinbare,
    dann ist das ganze Bild nicht heil,
    ich brauche wirklich alle!

    Ob schwarze, weiße, bunte, graue,
    krumme oder grade:
    Dem Puzzle ist das ganz egal,
    doch ich brauch am Ende alle!

    Gery De Stefano  2020

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  • Fehleinschätzung

    Neulich ging ich im Park spazieren und beobachtete ein Eichhörnchen, das von einer Elster attackiert wurde. Das niedliche Tierlein rannte um sein Leben.
    
    Ich war sofort entsetzt über dieses grausame Schauspiel und versuchte zu intervenieren: ich schrie laut, um die Elster zu verscheuchen, ich warf einen Stein in ihre Richtung, rannte hinterher.
    
    Doch das putzige Eichhörnchen mit den schwarzen Äuglein , den Pinseln an den Öhrchen und dem wunderbaren buschigen Schwanz war nicht dumm: es rannte wie ein Blitz spiralförmig einen dicken Baumstamm hinauf. Die Elster versuchte zu folgen, wurde durch das ständige Kreiseln aber desorientiert und offensichtlich schwindelig, so dass sie ihre Verfolgung aufgab und davonflog.
    
    Ich war zunächst erleichtert, dann aber ernüchtert:
    Das Eichhörnchen hatte versucht die Eier aus dem Nest der Elster zu rauben und die Vogelmutter verteidigte ihre Kinder ...
    
    Fehleinschätzung.
    
    12.02.2023
    

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